Der Missouri-Kompromiss

 

Als die USA 1776 ihre Unabhängigkeit erklärten und begannen, ab 1777 ein geeintes Staatswesen zu erschaffen, gab es nicht wenige, die dem Projekt keine allzugroße Zukunft bescheinigten. Zu groß schienen die Gegensätze zwischen den Staaten, zu diametral entgegengesetzt ihre Interessen. Nicht nur fürchteten die kleinen Staaten das erdrückende Gegengewicht der Großen, nicht nur gab es religiöse Streitigkeiten zwischen den vielen Konfessionsgruppen; auch eine tiefe Spaltung in Nord- und Südstaaten war bereits damals vorhanden. Die nördlichen Staaten waren hauptsächlich von kleinen Farmen im Hinterland und den großen Küstenstädten - und damit vom Handel - geprägt. Im Süden dagegen herrschte der Typ des reichen Pflanzers als gesellschaftliche Konstitutierung vor. Diese Pflanzer-Aristokratie ließ riesige Plantagen vorrangig von Sklaven bewirtschaften, deren Existenz für die exportorientierte südliche Landwirtschaft mit ihren arbeitsintensiven Baumwoll- und Tabakplantagen als essentiell angesehen wurde. Als man 1787 daran ging, eine Verfassung auszuarbeiten, war die wichtigste Frage neben der prinzipiellen Existenz einer solchen Verfassung die Sklavenfrage.

 

 

 

Sollten für Sklaven ebenfalls die Rechte gelten, wie sie in der Unabhängigkeitserklärung verfasst worden waren? Life, Liberty and the pursuit of hapiness? Das aber müsste in Konsequenz die Aufhebung der Sklaverei bedeuten und mithin die Entziehung der Lebensgrundlage der Pflanzer. Sollte der neue Bundesstaat außerdem die Oberhoheit über Außenhandelszölle erhalten? Für die Südstaaten wäre das eine Katastrophe, denn der Norden befürwortete hohe Schutzzölle, um eine eigene manufakturelle Wirtschaft aufzubauen, was nach dem Wirtschaftskrieg mit England in den Nachwehen des Unabhängigkeitskrieg vielen als überaus attraktiv erschien. Doch das würde wegen der sicheren Gegenzölle der Handelspartner zum Niedergang der Pflanzer führen.

 

 

 

Entsprechend war die Verfassung eine Kompromissveranstaltung. Um das Übergewicht der Bevölkerung des Nordens zu kompensieren, wurde nicht nur der Senat unabhängig von der Bevölkerungszahl besetzt - immer zwei Senatoren pro Staat - sondern für die Bestimmung der Anzahl der Repräsentanten im House of Representatives, die sich nach der Bevölkerungszahl richtete, auch die Zahl der Sklaven einbezogen, obwohl diese gar keine Bürger waren. Der Kompromiss sah vor, dass ein Sklave wie 3/5 Weiße zählte. Auf diese Art hoffte man im Süden, eine Parität zum Norden waren zu können. Der Paritätsgedanke sollte für die kommenden fast 80 Jahre bestimmend sein. Wenn diese Parität zwischen Süden und Norden nicht mehr gewahrt war, würde der Kompromiss zerbrechen und damit der Grundlage der staatlichen Einheit der Boden entzogen sein.

 

 

 

Durch die Northwest-Ordinance, die noch die Konföderation verabschiedet hatte, war jedoch der Beitritt neuer Staaten ins Gebiet der Union vorgezeichnet. Kentucky und Ohio, Tennessee und Vermont waren in den Jahren nach der Ratifizierung der Verfassung auf dieser Grundlage in die Union eingetreten. Da Kentucky und Tennessee Sklavenhalterstaaten waren, blieb die Parität gewahrt. Einen formalen Kompromiss zu diesem Thema jedoch gab es nicht, und so wurde das Thema mit jeder Beitrittsperspektive erneut virulent. 1820 standen erneut zwei neue Staaten zur Aufnahme in die Union an: Maine, im äußersten Nordosten der USA, und Missouri, mittig zwischen Nord- und Südstaaten gelegen. Da das 1803 von Frankreich erworbene Louisiana-Territorium, vom Golf von Mexico bis an die kanadische Grenze mehr als doppelt so groß wie die ursrpünglichen dreizehn Kolonien, in absehbarer Zeit Stück für Stück ebenfalls in die Union aufgenommen werden würde, musste man endlich eine Lösung finden, um Streitfälle wie Missouri in Zukunft zu vermeiden. Im so genannten Missouri-Kompromiss wurde die Sklaverei im Louisiana-Territorium nördlich 36°30' Breitengrad verboten. Maine wurde zudem als sklavenfreier, Missouri als sklavenhaltender Staat aufgenommen. Vorläufig sollten keine weiteren Staaten aufgenommen werden. Die Parität war also einmal mehr gewahrt.

 

 

 

Seit dem Krieg von 1812 mit England hatten die USA den Weg zu einer manufakturellen Wirtschaft weiter beschritten. Die Südstaaten, besonders South Carolina, lagen wirtschaftlich darnieder. Unter Präsident John Quincy Adams war der Außenhandelszoll signikant erhöht worden ("Tariff of Abominations", etwa: Zoll der Abscheulichkeiten), und sein Nachfolger Jackson hatte ihn entgegen der in ihn gesetzten Hoffnungen nicht signifikant, sondern 1832 lediglich leicht gesenkt. South Carolina stellte zu jener Zeit den Vize-Präsidenten, John C. Calhoun. Dieser trat zurück, um in den Senat einziehen und dort Jacksons Handelspolitik bekämpfen zu können (durch die strikte Gewaltenteilung in den USA ist es nicht möglich, gleichzeitig Mitglied des Parlaments und der Regierung zu sein). Mit der Erklärung South Carolinas, die Bundesstaaten hätten Recht wie Pflicht, verfassungswidrige Gesetze außer Kraft zu setzen, und dass es sich bei den Tariffs of Abomination um solche handle, begann die so genannte Nullification Crisis (etwa Nichtgültigkeitserklärungskrise). South Carolina drohte außerdem unverhohlen mit der Sezession, wenn seinen Interessen nicht Rechnung getragen werde. Die Krise wurde ein Jahr später, 1833, durch eine schrittweise Absenkung der Zölle entschärft. Die widerstreitenden Interessen waren damit jedoch nur vorläufig verdeckt und keinesfalls mtieinander ausgeöhnt worden.

 

 

 

1836 traten Arkansas und Michigan in die Union ein, wiederum die Parität sklavenhaltender und sklavenfreier Staaten haltend. Durch den mexikanisch-amerikanischen Krieg 1846-1848 dehnte sich das US-Territorium weiter nach Westen aus, als noch vor kurzer Zeit jemand für möglich gehalten hätte. Der Missouri-Kompromiss aber erstreckte sich nur auf das Lousiana-Territorium. Über die von Mexiko erworbenen Gebiete sagte er nichts aus. Mehrfach versuchten abolitionistisch (Abolitionisten: Sklavereigegner) gesinnte Politiker des Nordens, die ehemals mexikanischen Gebiete per Gesetz sklavenfrei zu machen. Der Senat jedoch ratifizierte die entsprechenden Gesetze nicht; die Parität der Nord- und Südstaaten verhinderte hier im Gegensatz zum Repräsentantenhaus eine abolitionistische Mehrheit. Über die Sklavereifrage kam es zum Ende des "Second-Party-Systems", das aus Whigs und Democrats bestand. Die Democrats waren zu diesem Zeitpunkt eine vor allem in den Südstaaten starke Partei, die Whigs in beiden Teilen des Landes vertreten. 1848 schlossen sich jedoch viele Nordstaaten-Democrats, die im Gegensatz zu ihren Parteifreunden im Süden eher abolitonistisch gestimmt waren, zusammen mit ebenso abolitionistischen Whigs zur so genannten "Free Soil Party" zusammen, die bei den Präsidentschaftswahlen antrat. Die Whigs konnten diese allerdings durch das Nutzen des Kriegshelden Zachary Taylor als Kandidat für sich entscheiden, der zudem selbst Sklavenhalter war (jedoch gegen die Sklaverei in den Territorien). Kurz kehrte noch einmal Ruhe ein, obwohl innerhalb der Whigs der Streit bereits deutlich schwelte.

 

 

 

1850 zerbrach der Missouri-Kompromiss endgültig. Die Aufnahme Kaliforniens als Staat in die Union stand an, und obwohl man die Linie des Kompromisses nach Westen verlängert hatte, half dies nun nicht mehr: Kalifornien lag sowohl nördlich als auch südlich des 36. Breitengrades. Noch einmal wurde ein Kompromiss geschlossen: Kalifornien würde als sklavenfreier Staat in die Union eintreten, das nordwestlich gelegene (und in Verhandlungen mit Großbritannien gesicherte) Orgeon-Territorium sollte ebenso sklavenfrei bleiben. Das Utah- und New-Mexico-Territory gehorchten bereits dem Prinzip der popular sovereignity, also dem Volksentscheid. Da in beiden Ländern keine Plantagen aufgebaut werden konnten war kaum damit zu rechnen, dass diese sich für die Sklaverei entscheiden würden. Damit waren jedoch die sklavenfreien Staaten in der Überzahl (1846 hatte das Verhältnis noch 15:14  für die Sklavenstaaten betragen). Die Südstaaten waren gespalten; die Unionisten in den Südstaaten konnten jedoch die Oberhand behalten. Dies war auch möglich, weil zum Kompromiss von 1850 auch der Fugitive Slaves Act gehörte: bereits die Verfassung hatte die Verpflichtung beinhaltet, entlaufene Sklaven an ihren Besitzer zurückzugeben, der Fugitive Slaves Act allerdings erhöhte die Strafen für Nichtrückführung deutlich.

 

 

 

Damit jedoch schossen sich die Sklavereibefürworter selbst in den Fuß. Die Abolitionisten erhielten aufgrund des Fugitive Slaves Acts deutlichen Rückenwind, und die Position der Sklavereibefürworter wurde zunehmend unhaltbar. 1852 erschien das Buch "Uncle Tom's Cabin" (Onkel Toms Hütte) von Harriett Beecher Stowe, das ein gigantischer Bestseller wurde und die Situation der Sklaven publikumswirksam darstellte. Bei einer Begegnung in den 1860er Jahren würde Lincoln sie mit den Worten begrüßen "This is the little woman who started the big war", eine laut Will Kaufman zutreffende Bemerkung. Im Norden wurde eine breite Bevölkerungsschicht gegenüber der Sklavensituation sensibilisiert. Dies reichte gewiss nicht dazu, sie zum Krieg zu bewegen - das Ansehen der Südstaaten aber war unreparabel beschädigt.

 

 

 

1854 kam es zu einem politischen Eklat: das Nebraska Territory sollte als Staat der Union angefügt werden. Da es nördlich der Linie des Missouri-Kompromisses lag, würde es jedoch sklavenfrei sein und damit den Sklavenhalterstaat Missouri endgültig mit freien Staaten einschließen. Da in jenen Jahren, wohl auch befeuert von Stowes Buch, der Fugitive Slaves Act in den Nordstaaten nicht übermäßig engagiert befolgt wurde (manche Abolitionisten betätigten sich sogar als Fluchthelfer) wäre das für Missouri auf Dauer wirtschaftlich fatal. Man schloss deswegen erneut einen Kompromiss, der im Norden auf heftige Ablehnung stieß, aber mit Unterstützung des Südens knapp durchkam: das Nebraska-Territorium sollte in zwei Teile geteilt werden; in beiden sollte erneut das Volk laut Kansas/Nebraska-Act per popular sovereignity darüber entscheiden, ob der jeweilige Staat sklavenhaltend sein würde oder nicht.

 

 

 

Doch die Abstimmung ergab eine Mehrheit der Abolitionisten. Kansas- und Nebraska-Territorium würden also vorläufig als sklavenfreie Staaten eintreten, doch inzwischen war die Debatte so hitzig, dass die südlichen Sklavereibefürworter das nicht hinnehmen wollten, beendete der Kansas/Nebrasca-Act doch letztlich den Missouri-Kompromiss und den von 1850. Gezielt wanderten Sklavereibefürworter nach Kansas ein und putschten gegen die Regierung; eine Art kleiner Bürgerkrieg entstand, "Bleeding Kansas" (blutendes Kansas) war eine populäre Phrase jener Tage. Die Angelegenheit tröpfelte im Territorium selbst nur vor sich hin; auf Ebene der Union sorgte sie allerdings für das endgültige Auseinanderbrechen der Whigs und der Demokraten. Die Free Soil Party entstand ebenso wie die Republican Party auf ihren Trümmern.

 

 

 

Eine letzte Frage bleibt noch zu klären: was ist die Rolle der Sklaven und der Sklaverei in all diesen Ereignissen? Viele Streits entzündeten sich an der Frage der Sklaverei, doch wie dargestellt waren viele andere Motive mindestens ebenso wichtig. Dazu gehörte die Wirtschaftspolitik, die einen seit der Gründung schwelenden Streit zwischen den Pflanzern des Südens und der Gesellschaftsordnung, die damit einherging (eine aristokratisch geprägte, in der selbst der ärmste Weiße jedoch immer die Schwarzen "unter sich" hatte) und der kommerziellen Händlerelite des Nordens mit seiner entstehenden Industrie und den Arbeiterheeren und Migranten, die aus der Alten Welt hineingelockt wurden. Der Bürgerkrieg war somit mindestens ebenso sehr ein Kampf unterschiedlicher Gesellschaftssysteme wie einer um die Frage der Sklaverei die allein, wie bereits konstatiert, keinesfalls ausreichte, um die Bevölkerung zum Krieg zu motivieren.

 

Quelle: Geschichtsblog

 

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